„SCHLINGENSIEF IST FÜR MICH IRGENDWO DER REAL EXISTIERENDE TANNHÄUSER“ (FESTSPIELE.DE)

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Von der Kritik nicht nur goutiert, vom Publikum heiß begehrt: Philippe Arlauds Inszenierung des „Tannhäuser”, die am heutigen Donnerstag ihre letzte Wiederaufnahme-Premiere feiert, erfährt nach dieser Spielzeit das gleiche Schicksal wie Christoph Schlingensiefs „Parsifal”: Sie wird vom Spielplan der Bayreuther Festspiele gestrichen. Endgültig.

Von Gert-Dieter Meier

Frage: Herr Arlaud, ziehen Sie doch mal Bilanz: Fünf Jahre „Tannhäuser”. Was war, was ist geblieben?

Arlaud: Unser „Tannhäuser”-Projekt hat in den fünf Jahren eine deutliche Entwicklung durchgemacht in musikalischer und szenischer Hinsicht. In den ersten beiden Jahren war Glen Winslade leider nicht ganz gesund. Was natürlich Auswirkungen auf die gesamte Produktion hatte. Als dann, im dritten Jahr, Stephen Gould die Partie übernahm, gab es sofort einen Ruck und die Produktion kam in eine andere Dimension. Im Jahr 2005 dann stimmte die Chemie endgültig zwischen Sängern ­ Orchester Thielemann hat in diesem Jahr einen unglaublichen künstlerischen Höhepunkt erreicht ­ und Produktion. Leider ist 2005 keine DVD von der Produktion angefertigt worden. Nach einem Jahr Ruhepause nehmen wir jetzt also die Produktion wieder auf. Und die Karten sind neu gemischt. Mit Christoph Ulrich Meier haben wir einen neuen Dirigenten, Frank van Aken singt den Tannhäuser, Thomas Jesatko den Biterolf. Das wird sich natürlich wieder auf die Produktion auswirken. Wobei man, im letzten Jahr, bei reduzierten Probezeiten, nicht mehr eine neue Inszenierung auf die Bühne stellen kann. Da ist eher Feinschliff angesagt.

Philippe Arlaud - Der Tannhäuser-Regisseur

Frage: Fällt es, nach so einem Pausenjahr, schwerer, wieder in die Inszenierung einzutauchen?

Arlaud: Natürlich. Man muss sich neu motivieren und konzentrieren. Aber ich bin da wie ein Maler, der vor einem Bild steht, das er vor längerer Zeit angefangen hat. Der ist vermutlich auch nicht mehr zufrieden mit dem Bild von damals. Sie müssen bedenken, dass die ersten Konzepte für die Inszenierung aus dem Jahr 2000 stammen. Aus heutiger Sicht würde ich die Produktion am liebsten einstampfen und alles völlig anders machen. Aber das ist eine normale Entwicklung. Wobei es der Maler leichter hat: Er kann sein Bild übermalen oder wegwerfen. Mit einer Inszenierung geht das nicht so leicht. Man muss da auch ganz ehrlich sagen: Viel kannst du während eines solchen Zyklus nicht verändern. Ein paar szenische Änderungen, okay. Mehr aber geht nicht. Dafür fehlt das Geld. Weshalb ich, für mich persönlich, die Idee der Werkstatt Bayreuth auch mit einem kleinen Fragezeichen versehen würde. Die Werkstatt ist ein schöner Vorsatz, in Wirklichkeit aber doch eher Illusion.

Frage: Schlingensief hatte ja mal geäußert, dass er gerade mal tausend Euro zur Verfügung habe für den Werkstatt-Check seiner Produktion.

Arlaud: Das sind Peanuts, richtig.

Frage: Wie beurteilen Sie die Festspiele insgesamt?

Arlaud: Ich finde die Ausrichtung und die Spannbreite dieser Festspiele hervorragend. Besonders hat mich die Radikalität von Schlingensief beeindruckt. Weil sie auch die übrigen Künstler zum Nachdenken zwingt, auf welcher Seite der Kunst sie stehen. Das ist eigentlich das Thema des „Tannhäuser”, aber Schlingensief ist für mich irgendwo der real existierende Tannhäuser. Natürlich hat sein „Parsifal” das Publikum gespalten. Aber im Lauf der Zeit hat sich die Sichtweise, bezogen auf seinen „Parsifal”, doch stark gewandelt. So ist das eben mit der Avantgarde. Ich ziehe den Hut vor Schlingensief. Weil er entweder sehr mutig war, diesen „Parsifal” in der vorliegenden Form zu machen. Oder aber unschuldig. Vielleicht ist er einfach auf dieses Werk zugegangen. Und hat gemacht. Das ist das Talent des ganz großen Künstlers. Chapeau, Schlingensief! Ich habe viel von ihm gelernt. Ich finde es spannend, wenn man nur mal die Inszenierungen von Schlingensief, Marthaler und mir anschaut, das sind drei verschiedene Antworten auf den Schmerz der Welt. Schlingensief schreit lautstark „Hilfe!”, Marthaler ist paralysiert und hat eine unglaubliche Kraft und ich bewege mich mehr auf der Romantik-Schiene. Natürlich gehört diese meine Sicht eher ins 20., aber eben nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Genau deshalb bin ich ja auch nicht mehr einverstanden mit meiner eigenen Ästhetik. Ich finde meinen „Tannhäuser” jetzt eigentlich scheiße!

Frage: Wäre das die Idealform der Werkstatt: Sagen zu können: Ich mache jetzt meinen „Tannhäuser” nach drei oder vier Jahren komplett neu?

Arlaud: Natürlich, das wäre wirklich aufregend. Die Vision nach der ersten Vision umsetzen zu können. Aber das ist an den Theatern heute leider nicht möglich. Nehmen wir den „Ring”, den ich ja im vergangenen Jahr an einem Abend im Zentrum aufgeführt habe. Den mache ich jetzt, für St. Pölten in Österreich, komplett neu. Mit viel mehr Tiefe und viel klarerer politischer Aussage.

Philippe Arlaud - Der Tannhäuser-Regisseur

Frage: Sie sagen „scheiße”, das Publikum aber ist begeistert: Der „Tannhäuser” gilt als die aktuelle Lieblings-Inszenierung der Bayreuth-Besucher.

Arlaud: Naja, das Wort Scheiße war wohl auch etwas übertrieben. Ich meine nur, dass ich selbst jetzt weiter bin, als es meine Inszenierung zeigt. Nein, der „Tannhäuser” ist schon eine durchaus schlüssige Inszenierung. Was mich besonders gefreut hat: Pierre Boulez hat, nachdem er meinen „Tannhäuser” gesehen hat, nur einen Kommentar abgegeben: „Sie haben den Mut zur Romantik.” Was ich zwischenzeitlich als Problem ansehe: Mir ist diese Inszenierung zu weit weg vom Publikum. Ich hätte sie gerne viel unmittelbarer herangeholt an das Werk, an meine Sichtweise. Ich glaube, dass mir das beim „Falstaff” in Baden-Baden gut gelungen ist. Mein Ziel ist es, dass das Publikum die Flüssigkeit des Lebens selbst spürt: Blut, Sperma, Tränen, Milch anstatt, aus dem Abstand heraus, irgendwelche Marionetten auf der Bühne zu beobachten. Gleichwohl: das Publikum genießt die Inszenierung.

Frage: Eigentlich interessant: Für viele Menschen ist Romantik auf der Bühne Sehnsucht, für andere Schock.

Arlaud: Natürlich ist Romantik eine Art Grundsehnsucht der Menschen. Die reale Welt ist schrecklich genug. Da suchen viele die Traumwelt wenigstens auf der Bühne. Das war übrigens im 19. Jahrhundert nicht anders. Als in Wien die „Fledermaus” aufgeführt wurde („Glücklich ist, wer vergisst”), ging draußen der erste große Börsenkrach über die Bühne. Die Romantik ist eine Art der Lösung. Und die kommt in „Tannhäuser” exemplarisch zur Geltung. Den Menschen diesbezüglich entgegenzukommen, bedeutet für die einen Erfüllung und für andere Schock. Weil das einfach in bestimmten Kreisen als pfui gilt.

Frage: Ist „Tannhäuser” eine Art Lieblingsstück für Sie?

Arlaud: Unbedingt. Ich stelle ihn über den „Tristan”. Die Person des Tannhäuser gehört für mich zum Genialsten, was Wagner geschaffen hat. Weil dieser Typ mitten im Leben steht. Und dann die Religionsdebatte! Aktueller geht es nicht mehr. Der Wettkampf der Romantik gegen eine bestimmte Art Ideologie das ist hochinteressant.

Frage: Gibt es bei Ihnen schon neue „Tannhäuser”-Pläne?

Arlaud: Leider nicht. Aber irgendwann werde ich dieses Werk auf alle Fälle nochmal bearbeiten. Ich bin Wagner einfach noch einen „Tannhäuser” schuldig (lacht)…

Frage: Wie sehen Sie denn nun dieses Phänomen Bayreuth? Ist es eine Art Kraftort für Wagner?

Arlaud: Sicher ist: Es gibt wenige Städte, die eine solche Monokultur so lange leben und aushalten. Für mich persönlich gibt es nicht viele andere Städte, in denen ich so viel Zeit zugebracht habe. Ich fühle mich fast wie zuhause. Ich habe viele Freunde gefunden und Erfahrungen gemacht. Weshalb mir ja unverändert ein Off-Festival für Bayreuth vorschwebt. Wir haben in diesem Jahr absichtlich damit pausiert. Weil ich heuer ja auf dem Grünen Hügel arbeite. Aber im kommenden Jahr soll es neu losgehen. Wir führen Gespräche mit dem Oberbürgermeister und mit Sponsoren. Entweder wir machen das mit großem Ernst und richtig gut oder aber wir lassen es ganz. Allerdings fände ich es sehr schade, wenn das Off-Festival nicht zustande käme. Ich finde, das täte Bayreuth gut. Es fehlt der Kontrapunkt, der Dialog. Ich bedauere es auch, dass im Festspielhaus nicht auch andere Werke gespielt werden, Berlioz etwa oder Strauss. Mir fehlt die Diskussion, die Vielfalt. Ansonsten aber sind diese Festspiele genial. Sie bieten einzigartige technische Möglichkeiten. Das ist Weltspitze. Es gibt nicht viele Theater, die besser wären als der Rolls Royce Bayreuth. Für einen Künstler ist das ein Traum. Danke dafür an Wolfgang Wagner und für ein einzigartiges Lebenswerk.

Frage: Sie haben von Debatten gesprochen, von Diskussionen. Warum diskutiert eigentlich nicht einmal ein Philipp Arlaud mit einem Schlingensief, mit Marthaler, mit Katharina Wagner über die Kunst. Nicht hinter verschlossenen Türen, sondern vor Publikum?

Arlaud: Genau! Das wäre eine gute Idee! Ich könnte mir auch vorstellen, dass bei solchen Gesprächen viel heraus käme. Ich bin dabei!

Frage: Was sind denn Ihre weiteren Pläne?

Arlaud: Ich werde jetzt Festspielleiter! Und zwar wird das Feldkirch-Festival in Österreich, nachdem die Schubertiade nach 25 Jahren nicht mehr stattfindet und danach Thomas Engelbrock sechs Jahre lang ein neues Festival begründet hat, jetzt auf völlig neue Beine gestellt. Heuer starten wir, Ende Oktober, mit einer Art Appetizer. Ab 2008 geht es dann richtig los. Geplant sind dabei auch experimentelle Projekte an der Schnittstelle zwischen Musik und darstellender Kunst. Ich sehe diese Festspiele auch als Sprungbrett für hochtalentierte junge Künstler.

Frage: Sie werden aber auch Regie führen?

Arlaud: Selbstverständlich! Wobei ich das nicht überbewerten will. Wir sind noch ein Floh im Vergleich zum Nachbarn, dem Elefanten Bregenz. Aber: Feldkirch hat Charme. Für mich ist es jetzt an der Zeit, mich mal um diese Dinge zu kümmern. Außerdem bin ich im Gespräch mit zwei großen Häusern, um dort gegebenenfalls die Intendanz zu übernehmen.

Frage: Die Idee des Off-Festivals in Bayreuth aber wollen Sie weiter verfolgen?

Arlaud: Auf alle Fälle. Da haben wir schon zu viele Ideen und zu viel Kraft investiert. Allerdings wird das nicht gehen, wenn sich die Stadt nicht auch einbringt. Für mich persönlich war das „Ring”-Projekt eine tolle Vorbereitung. Ich werde den „Ring” jetzt auch nochmal völlig neu inszenieren. Er wird dann, am 17. November im Festspielhaus St. Pölten aufgeführt. Am 19. November gibt es eine Vorstellung nur für Kinder. Nach diesen beiden „kleinen Ringen” fühle ich mich bestens vorbereitet für den „großen Ring”. Ich könnte mir überhaupt vorstellen, dass das ein Modell für viele junge Regisseure wird: Ich kann nur empfehlen: Bevor ihr euch an die Tetralogie in vier Teilen wagt, probiert erst den ganzen „Ring” an einem Abend!

Frage: Wann kommt dann Ihr großer „Ring”?

Arlaud: Ich führe viele Gespräche. Aber konkret ist noch nichts. Aber ich werde ihn machen. Weil der „Ring” das letzte Wagner-Werk ist, das ich noch nicht inszeniert habe. Und dieser Herausforderung möchte ich mich auf alle Fälle stellen. „Holländer”, „Tannhäuser” und der „Ring” das sind die Werke, die mich interessieren. Und die ich noch einmal machen will.

Frage: Und wenn jetzt der Brief aus Bayreuth käme: Würden Sie wieder kommen?

Arlaud: (Zögert) Natürlich würde ich wieder kommen. Aber mit viel mehr Freiheit im Gepäck. Vielleicht bin ich dann mehr Schlingensief. Bayreuth hat, in den letzten fünf, sechs Jahren, in meinem Leben viel verändert. Das war ein Schock, der aber zu einer Art Befreiung geführt hat. Bayreuth hat mir Freiheit, Reife gegeben. Und dafür bin ich dankbar. Aber ich würde mir auch wünschen, dass vor allem junge Künstler jetzt an die Reihe kommen. Ich habe hier gearbeitet, jetzt sollen andere ran. Es gibt so viele junge Künstler mit großem Talent und frischen Ideen, die sollten auch in Bayreuth zeigen dürfen, was sie drauf haben. Deshalb, noch einmal die Antwort auf Ihre Frage: Ich würde Ja sagen aber die Frage wird nicht kommen.

Frage: War also die „Werkstatt Bayreuth” eher eine „Werkstatt Arlaud”?

Arlaud: Könnte man sagen: Mich hat Bayreuth extrem voran gebracht.

Frage: Hat Bayreuth Sie sozusagen als Künstler erlöst?

Arlaud: Unbedingt. Ich habe hier gelernt, dass es nichts bringt, sich ständig anzupassen, sich vereinnahmen zu lassen, ständig Kompromisse einzugehen. Man muss seinen Weg gehen. Danke Bayreuth!

Festspiele.de – 26.07.2007