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Lautstärke bei Schlingensiefs Show
Bayreuth. Provokanter "Parsifal", souverän dirigierter "Tannhäuser", verstörend besetzter "Holländer".
Die Presse vom 01.08.2005. Von Walter Dobner.
Ob er beim nächsten Mal gleich einen Film ablaufen lassen werde, argwöhnte ein Besucher wegen zahlreicher filmischer Einschübe, mit denen Christoph Schlingensief seine von verwirrenden Einzelheiten überbordende Szene noch überfrachtete. Mehrheitlich ablehnend - wie schon im Vorjahr - fiel die Publikumsreaktion auf diese letzte der diesjährigen fünf Bayreuther Festspiel-Premieren aus: So gesellschaftskritisch, so multikulturell will man am "Grünen Hügel" das Bühnenweihfestspiel "Parsifal" eben nicht.
Dabei hat der provokante Regisseur an seinem Vorjahrs-Konzept gefeilt. Er hat Parsifal und Kundry Doppelgänger beigegeben, weil man "in der Nahtod-Situation multiple Identitäten gleichzeitig sehen" könne, im zweiten Aufzug die Begegnung zwischen Kundry und Parsifal emotionaler ausgestaltet, im Finale den Blick auf die ihm wichtig erscheinende Dreierbeziehung Kundry-Parsifal-Amfortas klug verdichtet. Kontrastierend zu dieser subjektiv-fantasievollen wie deftigen Deutung entlockte der zielorientiert vorwärts drängende Pierre Boulez dem gut gelaunten Orchester subtile kammermusikalische Töne, lenkte den Blick auf die impressionistischen Facetten der Partitur.
Nur der liedhaft artikulierende, deutliche Robert Holl (Gurnemanz) und die prächtig einstudierten Choristen nahmen diesen Faden auf. Sonst war Lautstärke Trumpf, ob beim sonst unauffälligen neuen Interpreten der Titelpartie, Alfons Eberz, der blassen Kundry Michelle de Youngs, oder dem orgelnden Klingsor John Wegners. Selbst der in der Eröffnungspremiere als König Marke gefeierte Kwangchul Youn präsentierte sich als wenig verständlicher Titurel.
Schon tags zuvor - bei "Tannhäuser", in der sich mehr auf kitschige Atmosphäre als auf konzise Personenführung verstehenden Inszenierung von Philippe Arlaud - war der Dirigent der umjubelte Star des Abends: Christian Thielemann. Er führte das Orchester gewohnt souverän zu schillerndem Farbenreichtum und spannungsvoller Weite, stellte derart seine führende Stellung unter den Wagner-Dirigenten der Gegenwart erneut eindrucksvoll unter Beweis und machte neugierig auf den nächstjährigen vom ihm geleiteten Bayreuther "Ring".
Selbst diesen, auch in sämtlichen Tempi idealen Teppich nahmen die Sänger kaum auf. Ricarda Merbeth (Elisabeth) suchte ebenso wie Stephen Gould (Tannhäuser) oder Judit Nemeth ihr Glück in lautstarken Tönen, konzentrierte sich kaum auf Wortdeutlichkeit, nahm es mit der Phrasierung nicht immer genau. Mit klarer Diktion versuchte Roman Trekel (Wolfram von Eschenbach) mit gleichfalls wenig Fortüne seine vokalen Defizite auszugleichen.
Noch verstörender wirkte die Bayreuther Besetzungspolitik bei der Wiederaufnahme des "Fliegenden Holländer" in der psychologisierenden Lesart von Claus Guth. Wie spannend hätte der dominierende Traum der Senta sein können, ihr stetes Abschreiten der als Schicksalsebene gedachten, weitläufigen Stiege (Bühnenbild: Christian Schmidt), ihr Rückblick, ihr zögerliches Kokettieren mit ihrer möglichen Zukunft, ihr vom Schicksal quasi vorgegebenes Ende - hätte man entsprechend dramatische Stimmen mit sicheren Höhen und einer klar zeichnenden Tiefe engagiert. Dem aber entsprachen weder die zu wenig ausdrucksreichen und sich vokal voneinander unterscheidenden Jukka Rasilainen (Holländer) und Jaakko Ryhänen (Daland), die kräftig distonierende Adrienne Dugger (Senta), der farblose Endrik Wottrich (Erik) noch die vokal ungenügende Mary der Uta Priew. Da wirkte auch Marc Albrecht mit seinem frischen, unprätentiös die Höhepunkte ansteuernden Dirigat zuweilen verloren.
Dass kraftvoll nur sehr bedingt mit glanzvoll gleichzusetzen ist, zeigte sich auch in der von Peter Schneider sicher, wenn auch nur solide geführten "Lohengrin"-Aufführung. Die von düsteren Farben bestimmte Inszenierung Keith Warners steht heuer zum letzten Mal auf dem Programm. Peter Seiffert ist ein hörbar in die Jahre gekommener Lohengrin, Petra-Maria Schnitzer eine mit zu wenig Liebreiz erfüllte Elsa, und dennoch vermochten beide die übrigen Protagonisten auszustechen - den überforderten Heerrufer Roman Trekel, den fahlen Telramund Hartmut Welker, die fortwährend mit outriertem Forcieren aufwartende Ortrud Linda Watson.
Vokale Vorbilder gäbe es genug. Dass es durchaus anders gehen könnte, wurde gleichfalls in dieser ersten Bayreuther Festspielwoche offeriert. Zusammen mit der Firma ORFEO publizierten die Festspiele auf 13 CD (Mono) den Mitschnitt des am 13. August 1956 - damit exakt 80 Jahre nach dem Beginn der Festspiele - begonnenen zweiten "Ring"-Zyklus. Hans Knappertsbusch dirigierte, die Hauptpartien waren mit Hotter (Wotan, Wanderer), Neidlinger (Alberich), Kuen (Mime), Madeira (Erda, Waltraute), Brouwenstijn (Freia, Sieglinde, Gutrune), Varnay (Brünnhilde), Greindl (Fasolt, Hunding, Hagen), Uhde (Gunther) und Wolfgang Windgassen (Siegmund, Siegfried) besetzt. Dass Oskar Sala mit seinem Mixtur-Trautonium für die Gralsglocken und die Rheingold-Schmiede zu heftigen Diskussionen über elektronische Klänge in Bayreuth Anlass gab, ist beinahe vergessen. Nicht aber, dass damals ungleich deutlicher gesungen, charaktervoller gestaltet wurde.
Pressestimmen und Kritiken zur Parsifal Inszenierung 2005
Materialübersicht zu Schlingensiefs Parsifal Inszenierung
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