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Es darf wieder gedacht werden
Die Welt, 27.7.04. Von Manuel Brug.
Christoph Schlingensiefs "Parsifal" eröffnet Bayreuth und lüftet die Käseglocke
Das Schöne am Theater und der Oper ist diese heimliche Verabredung: Wenn der Vorhang sich hebt, dann ist jeder Probenkrach vergessen, dann beginnt das Kunstwerk zu wirken, dann tauchen wir ein in eine zweite Wirklichkeit. Ganz besonders in Bayreuth, wenn Pierre Boulez als Hügelheimkehrer nach fast 40 Jahren noch einmal und schon in der Ouvertüre des "Parsifal" den Gralstempel in zartestem Holz türmt, behend dahin eilt, sachlich, doch zauberhaft. Ein Wunder des Klangs, das sich den ganzen ersten Akt über beglückend fortsetzt.
Der freilich auch auf der Bühne - und das war nicht unbedingt zu erwarten - von ungemeiner Faszination ist, unerhört gar für Bayreuth, dessen Mythos einst besonders auch durch den für diese Akustik als "Weltabschiedswerk" geschriebenen "Parsifal" befördert wurde. Christoph Schlingensief und sein stark beteiligter Dramaturg Carl Hegemann haben ihn von Anfang bis Ende inszeniert. Es gibt keine Improvisationen, keine Stopps, keine Verkürzungen, Umstellungen. Kein Schlingensief entert die Bühne, reißt die Vorstellung als genial-nervender Selbstdarsteller an sich. Beide sonnen sich nur im kurz brandenden, mit erstaunlich wenig Buhgeschrei durchwürzten Beifallsturm.
Der Skandal ist ausgeblieben. Er herrschte stattdessen die gewohnt schnelle Lesart von Pierre Boulez, die beinahe minutengleich den Tempi seines Mitschnittes von 1970 folgt. Natürlich ist Schlingensief, der Aktionist und kindlich-raffinierte Provokateur, nicht plötzlich zum sensiblen Theaterdeuter herangereift. Doch er hat sich auf ein komplettes Werk eingelassen, eines der komplexesten überhaupt, seine Längen, seinen Rhythmus; er folgt und interpretiert. Er ist nicht Teil der Inszenierung. Zwar ist alles, was vorher war - und das war eine Menge - Teil des Systems Schlingensief, das hier scheinbar unversöhnlich und doch viel harmloser als bei anderen Projekten auf das Gegenprinzip Wolfgang Wagner traf. Doch das spielt jetzt keine Rolle mehr. Wieder mal gilt's in Bayreuth einzig der Kunst. Schlingensief hat als Theaterkünstler von der konzentrierten, ehrlichen Auseinandersetzung mit Richard Wagner profitiert und Bayreuth von Schlingensief. Denn die dortige Käseglocke eines fast ungebrochen affirmativen Inszenierungsstils ist deutlich gelüftet worden.
Zuletzt war das bei Heiner Müller totemartigen "Tristan" der Fall. Doch wo der kranke Dichter monolithische karge, ja strenge Behauptungen aufstellte, da muss jetzt eine spielerisch kanalisierte Fülle von "Parsifal"-Assoziationen, Querschüssen, Anspielungen und Verknüpfungen gesehen, verarbeitet und wohlmöglich auch entschlüsselt werden. Vieles bleibt im Dunkel des Schlingensief-Kosmos stecken. Anderes, wie der üblich freakige Statistentross aus Dünnen und Dicken, Verwirrten und Hellen, Bodybuildern und Liliputanern stört nicht weiter, bevölkert die Bühne als pittoreskes Fußvolk.
Das Öffnen des Vorhangs zeigt eine noch dunkle, wie ein Kinderzimmerschloss zart vor sich hin blinkende geheimnisvolle Kulisse. Die sich als immer wieder abgewandelte und abgeräumte Installation mit venezianischen Palazzo-Fassaden, Podesten, Betttüchern, merkwürdigen Pappmasche-Figurinen. Sogar einen "Friedhof für die Kunst" gibt es, auf dem nicht nur Titurel, sondern auch die Mona Lisa und der Dürer-Hase ruhen. Für das alles muss neben Daniel Angermayer und Thomas Goerge als geistiger Vater unbedingt Jonathan Meese genannt werden. Wie überhaupt viel Volksbühniges aus Berlin in diesem Bayreuther "Parsifal" steckt. Und in den Entmannungssymbolen für den mit schwarzer Krone als haitianischer Medizinmann identifizierbaren Zauberer Klingsor ist einiges aus der Bilderwelt des Creammasters Matthew Barney zu entdecken.
Schlingensief interpretiert Wagners merkwürdig pseudochristliche Ersatzreligion, die sich hier im "Bühnenweihfestspiel" kundtut, als Zeitraffer-Trip des sterbenden Parsifals und atavistisch fremdes, heidnisches Ritual. Deswegen auch die beständig alles überlagernden Videoprojektionen, die mit pulsierenden Wunden, zuckenden Moluskeln oder Blumenpiktogrammen das Geschehen seltsam konterkarieren.
Der Gral wird immer wieder zum den Afrikanern heiligen Kraal. Als er enthüllt wird, weiß man nicht so Recht, was er eigentlich ist: die dicke Halbnackte in einem Bassin mit der mittelalterlichen Frage-Aufschrift "Queste"? Ein Lichtstrahl, in dem sich hinter weißen Baldachintüchern der jugendliche Gralskönig Amfortas bewegt, während sein Vater Titurel nur noch als Stimme präsent ist? Ist er der lebendige (Beuys-)Hase, der in einem Käfig vorbei getragen wird und vorher schon bei der Sehnsucht nach dem "reinen Toren" als Meister Lampe per Film über die Bühne mümmelte; der tot in einem Schrein aufbewahrt wird, und schließlich die Bilder als verwesender und sich doch bewegender Balg dominiert?
Oder ist der Gral die schwarz versteinerte Masse, in die die als Priester aller Weltreligionen gekleideten, später als (Glaubens-)Soldaten aller Epochen kostümierten Gralsritter ihre Hände tauchen, um sie dann blutrot auf das weiße Büßergewand Parsifals zu drücken? Oder ist es gar das Modell der Schlingensiefschen "Church oft Fear", das sich im dritten Akt herabsenkt?
Es beginnt jedenfalls bei einem wohl namibischen Stamm, der in einer Mischung aus KZ und Pfadfinderlager von Gurnemanz gehütet wird. Der wiederum sieht mit seinen Fellzotteln aus wie eine Mischung aus Fred Feuerstein und Harry-Potters Freund Hagrid. Amfortas' dunkle Bodyguards spielen in einer Ecke Karten. Auch später sind Klingsors Blumenmädchen im "arabischen Zaubergarten" mit prächtigen afrikanischen Stammestrachten ausstaffiert.
Ebenso kommt die mit batikartigem Bodypainting versehene Kundry aus diesem Kulturkreis. Um sich in stetiger Wandlung einer gespaltenen Persönlichkeit bereits im ersten Akt als Parsifal-Mutter Herzeleide und Maria zu präsentieren. Im zweiten zeigt sie sich dann als Schleifen-Barbie, die sich zwecks von Klingsor angeordneter Parsifal-Verführung immer wieder die Lippen nachzieht; im dritten als dienende Büßerin im Eingeborenen-Outfit mit Entensteiß. So wie vor der Premiere der Schlingensiefsche Dauerwortstrom, so fluten jetzt die Bilder: phantasmagorisch, manchmal auch in seiner diffus ermüdenden Zeichenwelt verpuppt. Wie auch bei anderen Bayreuther Regisseuren mangelt es dem gar nicht mehr scheinheiligen Christoph an der Fähigkeit zur feinfühligen Personenregie. Deshalb hängt der zweite Akt auch so durch.
Zwischen dem von Endrik Wottrich mit verletzlich schönem Timbre, aber zu wenig Kraft gesungenem Parsifal und Michelle de Youngs kaum differenzierter Kundry passiert rein gar nichts - bis er am Ende Klingsors Speer mit einer Art bischöflichem Duschstab kreuzt. Auch Boulez bleibt hier blass und unsinnlich. Zuvor hatte schon der brav skandierende Gurnemanz von Robert Holl meist gelangweilt. Ein altes Problem des längst nicht mehr auf seiner früheren Höhe agierenden Besetzungsbüros.
Die präzisen Chöre von Eberhard Friedrich, Alexander Marco-Buhrmesters schön deklamierter, sicher noch an Farben und Nuancen gewinnender Amfortas, John Wegners beweglich abgründiger Klingsor und Kwanschoul Yuns famos orgelnder Titurel verleihen eben allein keinem "Parsifal" die vokale Festspielwürde.
Wie bei einem Dampfkochtopf scheint im Kampf zwischen dem nicht unbedingt reinen Regie-Toren und dem alten Hügelmann durch einen heilsamen Sprung im Deckel ordentlich Druck entwichen. Das Experiment ist also geglückt. Jetzt wird sich der Werkstattgedanke vor Ort hoffentlich der in vielen Stellen noch pointierter vorstellbaren Inszenierung bemächtigen. Und Boulez muss unbedingt bleiben. Man fährt jedenfalls wieder nach Bayreuth, um nachzudenken. Das hat man dort in den letzten Jahren viel zu selten getan.
Pressestimmen und Kritiken zur Parsifal Inszenierung 2004
Materialübersicht zu Schlingensiefs Parsifal Inszenierung
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