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Rasant im Tempo und aberwitzig in seiner Bilderflut
Fränkischer Tag, 27.7.04. Von Monika Beer.
Der neue "Parsifal" in Bayreuth: Ein Sieg für Pierre Boulez - und das Team Schlingensief
Nein, Christoph Schlingensief ist kein Scharlatan, sondern ein ernst zu nehmender Künstler, der (was nichts Ungewöhnliches ist) nicht ganz fertig geworden ist mit seiner "Parsifal"-Inszenierung und demzufolge noch Nachholbedarf hat: ein Hoch auf die Werkstatt Bayreuth!
Der von vielen erwartete Theater-Skandal hat also nicht stattgefunden. Natürlich wird es Verrisse geben, natürlich gab es Pfiffe und Buhrufe, aber sie klangen nicht unbedingt so, als ob sie ein Muss und dringendes Herzensbedürfnis ihrer Urheber gewesen wären. Sie waren eher ein Spiegelbild dafür, dass der in der Festspielgeschichte beispiellose Medien-Hype eben doch seine Spuren hinterlässt. Christoph Schlingensief als Haupturheber wird schon wissen, was er tut, Wolfgang und Katharina Wagner tun das sicher auch.
Erwarten Sie nun bitte nicht, dass ich Ihnen haarklein erkläre, was alles warum so und nicht anders geschieht! Was Schlingensief und sein Team - Daniel Angermayr und Thomas Goerge (Bühnenbild), Tabea Braun (Kostüme), Voxi Bärenklau (Lichtdesign), Ulrich Niepel (Licht), Meika Dresenkamp (Video) und Carl Hegemann (dramaturgische Mitarbeit) - auf die Bühne gestellt haben, entzieht sich zumindest teilweise herkömmlichen Deutungs- und Erläuterungsmustern. Die Bilder- und Assoziationsflut ist schlichtweg zu groß.
Womit auch schon ein wesentlicher Punkt angesprochen wäre. Richard Wagners Bühnenweihfestspiel ist mit dieser Produktion im Hier und Heute, im Jahr 2004 angekommen, ist unmittelbarer Ausdruck einer chaotischen Welt, die nicht mehr weiß wohin mit der Fülle ihrer Bilder und Informationen: der "Parsifal" als schier endloser und doch kurzweiliger Videoclip, als trashige MTV-Mammutsendung mit Links ins World Wide Web, wo man auf alles und gar nichts eine Antwort findet.
Was Schlingensief weiß, ist nicht unbedingt das, was Operngänger und Wagnerkenner erwarten. Seine Art von Inszenierung hat nicht den Ehrgeiz, die Handlung für den Zuschauer unmittelbar nachvollziehbar zu machen, sondern stellt sie in einen ganz individuellen, wenn man so will egomanischen Interpretationsrahmen, von dem aus man Schritt für Schritt womöglich neue Wege zu "Parsifal" (der wahrscheinlich das einzige Werk Wagners ist, das einen schlingensiefschen Zugriff aushält) finden kann.
Es ist kein Zufall, dass auch die große diesjährige Festspielausstellung "Wege zu Parsifal" heißt, deren Titel sich konkret auf einen Programmheftaufsatz des Dirigenten Pierre Boulez aus dem Jahr 1970 bezieht. Schon ein erster Blick auf die Katalogbroschüre und ins aktuelle Programmbuch der diesjährigen Festspiele macht deutlich, worin die aktuelle Produktion sich wesentlich von ihren Vorgängern unterscheidet: Während man den spezifischen Charakter von früheren Interpretationen an einigen wenigen Szenen wiedererkennt, entzieht sich die jetzige solchen Standbildern.
Der neue Bayreuther "Parsifal" ist von einer stupenden, den Zuschauer fordernden, sicher auch überfordernden Bildkraft, die niemals statisch, sondern stets lebendig, im Fluss ist. Das mit filmischen Mitteln überreich ausgestattete szenische Arrangement ist ein scheint's nach allen Richtungen sich stetig verändernder, pulsierender Organismus, der konkret und doch irreal ist und sich klar nur dort verorten lässt, wo alles zusammenfließt: im menschlichen Gehirn, in der Erinnerung, in der unendlich schnellen und doch zeitlosen Bilderflut, die unmittelbar dem Tod vorausgeht.
Der Mythos, den das Schlingensief-Team visualisiert hat, ist eine durchaus abenteuerliche Mischung aus Ingredienzen, die für sich genommen auch aberwitzig, abwegig, unreflektiert sein mögen, aber in der Summe Sinn machen. Auf der Drehbühne, die alle Schauplätze synchronisiert, vollzieht sich wie in einem mehrschichtigen, gleichzeitig ablaufenden Film das, was Wagner im "Parsifal" abhandelt: eine Art Läuterung, ein schmerzensreicher Weg, verbunden mit Ritualen, durch die der Mensch - vergeblich - versucht, seinen eigenen Tod in den Griff zu bekommen.
Der hier wie ein präraffaelitischer Jesus wirkende Parsifal, der sich im 1. Akt noch mit Vertretern aller Weltreligionen, also nicht nur mit dem Christentum konfrontiert sieht und eintaucht in für ihn und uns fremde Kulturen, gewinnt im Vorgriff auf seinen Tod Einsichten, die ihn empfindsam machen für das kreatürliche Leid: Der Schwan, den er getötet hat, ist ein Sinnbild, das Schlingensief mit Bildern von Hasen überlagert, deren mythologische Bedeutung in jedem besseren Nachschlagewerk ausführlich beschrieben ist.
Soll man fragen, warum Kundry im 3. Akt so ausladend kostümiert ist wie die als eine Art Fruchtbarkeitsgöttin fungierende, eindrucksvoll in sich ruhende Statistin im 1. Akt? Muss man unmittelbar verstehen, warum in diesem dem Verfall geweihten Niemandsland Robben sich im Tanz wiegen und eine ältere Dame immer wieder auch ins Auditorium winkt? Darf es angehen, dass auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses wieder einmal Oberammergauer Laientheater stattfindet, obwohl fast alle Protagonisten es nachweislich besser können? Sind Personenregie und Psychologie für Schlingensief Fremdwörter?
Auch Parsifal wird von Gurnemanz viel gefragt und weiß keine Antworten. Der Regisseur und sein Team sind naiv wie Parsifal - und Kundry und Klingsor und Amfortas und Titurel undsoweiter, die ebenso wie auch Richard Wagner ihre Fragen ans Publikum weitergeben. Es sind - ohne erhobenen Zeigefinger - moralische Fragen. Und die tatsächlich bunt zusammengewürfelte Menschenschar auf der Bühne schließt, ohne deshalb in ein beliebiges Friede-Freude-Eierkuchen-Gefühl abzusinken, niemanden aus und alle - selbstverständlich auch Farbige und Behinderte - ein.
Vorausgesetzt man ist überhaupt bereit, sich auf dieses Festspielabenteuer einzulassen! Ein erstklassiges Vorbild dafür ist Pierre Boulez, der die ungewöhnliche Produktion nicht nur nach Kräften unterstützt und gefördert, sondern durch seine musikalische Interpretation erst möglich macht: Er dirigiert den "Parsifal" ungemein rasch - ins schier Unendliche zerdehnte Längen à la James Levine würden auch die Szene rasch ins Nirwana befördern - und beglaubigt damit das Fortschreiten, das Vorwärtsdrängen, die ständige Bewegung, den Kreislauf der Inszenierung.
Das Festspielorchester nimmt das Tempo auf als wäre es sein ureigener Rhythmus und Atem, spielt traumhaft luzide und leicht, lässt alles Dröhnende und Schwere, den angeblichen Wagnerklang eben, weit hinter sich und findet zu einer Klarheit und Übersicht, wie sie auch dem Schöpfer dieser wunderbaren Musik zu eigen gewesen sein mag, als er die Komposition seinem Festspielhaus auf den hölzernen Klangleib geschrieben hat.
Was den Künstler Pierre Boulez ausmacht, der uns teilhaben lässt an seiner in vielen Jahrzehnten gewachsenen immensen Musik-Erfahrung, wurde auch bei seinem Solobeifall in der Premiere deutlich: Er entzog sich dem einhelligen Jubel und den sich gerade aufbauenden Standing Ovations, indem er dezent und rasch wieder hinter dem Vorhang verschwand und sich fortan nur noch gemeinsam mit den durchweg guten bis sehr guten Solisten, den wie immer herausragenden Choristen unter Eberhard Friedrich und dem Inszenierungsteam zeigte. Bravo Maestro!
Pressestimmen und Kritiken zur Parsifal Inszenierung 2004
Materialübersicht zu Schlingensiefs Parsifal Inszenierung
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