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Voodoo auf dem Grünen Hügel
DER SPIEGEL Nr.30 / 19.7.04, S. 126-130. Von Alexander Smoltczyk.
Mit dem "Parsifal" des Aktionskünstlers Christoph Schlingensief eröffnen am Sonntag die 93. Wagnerfestspiele. Am Ende der turbulenten Probezeit scheinen der Regisseur und sein Chef, der Festivalleiter Wolfgang Wagner, einander in fröhlichem Zank zu respektieren.
Vornübergebeugt, das weiße Seidenhaar gepflegt gelegt, müht sich der Enkel über den Vorplatz des Festspielhauses. Eine Heckenschere knattert, es sind nur noch wenige Tage bis zur Premiere. "Man muss es fixieren", sagt Richard Wagners Enkel Wolfgang, "sonst werden die Sänger verrückt. Fixieren muss man!"
Es geht um die Drehbühne. Christoph Schlingensief wollte sie im Lauf der Aufführung 68-mal bewegen, möglichst in ständiger Drehung halten, weil die Zeit zum Raum werden müsse und im Nahtoderlebnis alle Lebensbilder gleichzeitig zu sehen seien, Tod und Geburt, Werden und Verwesen - "Das geht nicht, die Sänger müssen wissen, wo sie stehen", sagt Wolfgang Wagner.
Der Festspielleiter ist etwas mühsam zu verstehen, wegen der Heckenschere, und weil die fränkischen Sätze aus dem Mund des 84-Jährigen heraushetzen, als liefe ihm die Zeit davon. Es sind nur noch wenige Tage.
Dann wird Angela Merkel in Abendgarderobe die Treppe zum Festspielhaus emporschreiten, dann wird Premiere des "Parsifal" sein, der bayerische Ministerpräsident Stoiber wird kommen, Thomas Gottschalk, Ron Sommer vielleicht, all die Vorstandsvorsitzenden, die Vonundzus und natürlich wie jedes Jahr die Damen, deren Namen sich lesen wie die Gelben Seiten: Sixt, Bauknecht, Oetker, Schickedanz. Deutschlands Elite in großer Robe. Und auf der Bühne - Christoph Schlingensief.
Der vor kurzem noch in Zürich mit heruntergelassener Hose eine Leinwand bepinselte.
Wolfgang Wagner hat sich entschieden, daran nicht zu denken. "Es wird eine schöne Premiere geben am Sonntag", sagt er. Solange nur genug fixiert ist. Solange nicht, wie einmal passiert, mit einer simplen Statistin geschlagene 55 Minuten lang geredet wird. Und solange sein Anwalt Schlingensiefs Anwalt regelmäßig daran erinnert, dass es auch in Bayreuth, wo des Meisters Wähnen Frieden fand, eine Hausordnung gibt. Gerade in Bayreuth.
Währenddessen liegt die Probebühne VII hinter blickdichten Planen verborgen. Ein Bühnentechniker mit dem verblichenen Logo einer Heavy-Metal-Band auf dem T-Shirt schiebt eine Dublette der Beuysschen Honigpumpe herum. Laut Hausordnung ist er zu Schweigen verpflichtet. Da kommt eine blond gelockte Dame angeeilt, in einem hellen Schutzanzug, der an Hella von Sinnen erinnert, und verschwindet hinter der Tür: Es ist Michelle de Young, die Darstellerin der Kundry, "eine Heidin ist's, ein Zauberweib".
Drinnen sitzt Schlingensief am Regietisch und ist von Mythen eingerahmt. Neben sich Katharina Wagner, die Urenkelin als Regieassistentin, und hinter sich Pierre Boulez, den hoch gerühmten Dirigenten und Altmeister der neuen Musik. Keiner der beiden scheint ein Problem damit zu haben, dass Gurnemanz im dritten Aufzug ein Fred-Feuerstein-Kostüm trägt.
Auf der schwarzen Drehbühne steht der Chor der Gralsritter in Zivil, vorn - zum Publikum fixiert - ist ein weiß gekalktes Plantschbecken aufgestellt, an dessen Rand Amfortas kniet, der wunde König: "Auf! Ihr Helden! Tötet den Sünder mit seiner Qual, von selbst dann leuchtet euch wohl der Gral!"
Gestern Abend noch saß Schlingensief mit seinen Getreuen im Wirtshaus "Auf der Theta", oberhalb und fern des Bayreuther Hügels, wütete gegen die Wagner-Maschine, rezitierte, monologisierte bei fränkischem Sauerbraten, lachte, rief den schweren Leibern in der Bierstube zu: "Seid ihr denn Blumen?", zweifelte, heulte vor Einsamkeit, sprach in Zungen und um Mitternacht schließlich: "Warum nicht alles kurz vor der Premiere hinschmeißen?!"
Die allabendliche Dekompression. Bayreuth ist kein Ort wie andere. In Bayreuth ist man deutschem Wahn und Wähnen bekanntlich näher als anderswo. Das geht an die Substanz.
Doch jetzt ist Schlingensief besserer Dinge: Die "Bunte" hat heute morgen den Text über seinen angeblichen Drogenkonsum nicht gebracht, Wolfgang Wagner ist außer Sichtweite, und der Chor singt, dass es Gänsehaut macht.
Gleich wird der Tenor Endrik Wottrich, im letzten Bild des 3. Aufzugs, die Bühne verlassen und auf ein Licht zugehen - durch einen Stofftunnel, der vermutlich an einen Geburtskanal erinnern soll. "Parsifal muss sterben", sagt Schlingensief. "Denn nur der Tod ist die Erlösung des Erlösers. Nicht der Speer, nicht der Gral. Und auch nicht die Kunst."
Es ist die letzte Probe vor Bühnenorchesterprobe. Von da an wird der Dirigent das Sagen haben. Aber Schlingensiefs Bilder stehen. Und trotz strikter Geheimhaltung hat sich Kunde verbreitet: Zum ersten Mal wird es Projektionen geben, "Vor- und Nachbelichtungen" des Parsifal-Stoffes. Dias und Videos werden auf halb transparente Gaze-Bahnen geworfen, Reisebilder aus Namibia und Einspielungen pulsierender, vulvaähnlicher Wunden, Voodoo-Rituale und Happenings nach Art von Otto Mühl.
Im Festspielhaus Bayreuth.
Nach der Probe gehen die Sänger ab in die Kantine, Boulez verschwindet freundlich nickend im Hauptgebäude, und das Plantschbecken des Amfortas wird zur Orchesterprobe ins Festspielhaus geschoben. Am Sonntag wird die Statistin Inge darin liegen, das dickste Mädchen, das für Geld zu haben war. Und sie wird keine Abendrobe tragen.
Schlingensief läuft E-Mails lesend an dem Pförtner vorbei zu einem hinteren Teil des Geländes, wo er sein Wohnmobil geparkt hat, wenige Meter von Arno Brekers Büste entfernt, auf der Wagner starke Ähnlichkeit mit Renate Künast hat.
Es liegt nahe, die Querelen der vergangenen Wochen, das Hin und Her um Regiekonzept und Werktreue zu wagnerisieren: Ein greiser Gralshüter, der nicht abtreten kann, bevor sich die Wunde Ehrgeiz nicht geschlossen hat, trifft auf einen reinen, schwanschießenden Toren, der das Heilige des Grünen Hügels nicht zu schauen vermag.
Doch war es immerhin Wolfgang Wagner, der Schlingensief für den "Parsifal" nach Bayreuth geladen hat, an jenem Tag vor einem Jahr, als Möllemann vom Himmel stürzte.
Und der 43-jährige Schlingensief ist keineswegs naiv, sondern hat auf den Knien einen Leitz-Ordner mit dem Klavierauszug des dritten Aufzugs und seinen Regieideen ("Lichtorgasmus"). Er glaubt an Wagners Aktualität. Er kann es immer noch nicht fassen, wirklich auf dem Hügel arbeiten zu können. Und er kann Noten lesen: "Zum ersten Mal bin ich meinen Eltern dankbar, dass sie mich zur Klavierstunde geschickt haben."
Bayreuth sei für ihn ein Traum gewesen, sagt er. Der "Parsifal" ein überwältigendes Totenspiel, das als kollektives Nahtoderlebnis auf die Bühne gebracht werden müsse, eine Voodoo-Passion voll Schmerzen, Angst und Nichtsterbenkönnen und am Ende die Gewissheit, dass nur der Tod die Erlösung ist, und kein Gral, keine Musik, keine Stabreimtheorie wird jemals daran etwas ändern.
Als er im März sein Konzept vorstellte, stand er allein auf der Bühne des Festspielhauses und erklärte den Sängern, Boulez und dem Wagner-Clan, was er vorhabe. Er erzählte von seiner Reise nach Namibia, ehemals Deutsch-Südwest, und der "Ring"-Partitur, auf die er dort, in einem halb vom Sand verwehten Ritterschloss, gestoßen sei, von den Mythen des Himba-Stammes und Richards Vermächtnis. Bis zu dem Satz "Ich liebe Wagner, aber nicht die Wagner-Logistik" konnte Gudrun Wagner noch zuhören. Danach verschränkte sie die Arme und erstarrte.
"Die dachten, ich würde ein, zwei Titten zeigen oder ein Stoiber-Double auf die Bühne holen, und dann war das die Provokation", sagt Schlingensief. Er geht zum Kühlschrank seines Campingwagens und holt zwei Weinflaschen: "Die habe ich in Venedig gefunden: Führerwein." Auf dem Etikett reckt der größte Wagnerianer aller Zeiten die Rechte. Nach der Premiere wolle er eine Flasche auf dem Festspielgelände hinterlassen, sagt Schlingensief. Aber mehr Provokation habe er nicht im Sinn.
"Die Leute sollen auf die Bilder schauen", sagt er. "Nicht warten auf billigen Skandal." Es ist ihm ernst mit "Parsifal".
Wolfgang Wagner mag sich einen kuriosen, womöglich genialischen Narren vorgestellt haben, als er diesen Regisseur nach Bayreuth holte. Jemanden, der sich mit einem starken Dirigenten und Musikdirektor schon fixieren ließe. Der vielleicht nicht für Erlösung des greisen Enkels sorgen würde, aber vielleicht für etwas Linderung der Wunde, ein Gestriger zu sein.
Doch ein erstes Ahnen muss den Festivalleiter beschlichen haben, als sein Regisseur darauf bestand, neben Speer und Gral auch einen Hasen als Ursymbol auf der Bühne zu haben. So soll es gewesen sein:
"Bei Wagner gibt es keine Hasen", sagte Wagner.
Schlingensief erzählte ihm vom Beuysschen Goldhasen, vom Mondtier und seiner Reise nach Bhaktapur. Er stelle sich den Gral im Übrigen als Hasenbalg vor.
Wagner: "Das werde ich nicht dulden."
Aber bei Schlingensief geriet er an jemanden, der zwar noch nie Oper gemacht hat, aber nicht weniger besessen und monomanisch ist wie Großvater Richard. Und fest entschlossen, nicht nur seine erprobte Truppe, sondern auch all die Obsessionen seiner bisherigen Inszenierungen mit nach Bayreuth zu bringen: "Atta Atta", "Attabambi-Pornoland", "Freakstars 3000".
Schlingensiefs ideale "Parsifal"-Inszenierung hätte die Sänger im Orchestergraben versteckt und sie nur als Soundtrack eingesetzt. Die 255 Minuten wären ohne Pause durchgespielt worden. Auf der Bühne wäre er selbst der Parsifal gewesen und um ihn herum seine Menagerie aus Wien, Berlin und Zürich, Irm Herrmann, Sophie Rois, Achim von Paczensky. Natürlich nur ein Traum. Schon allein wegen der zwei einstündigen Pausen im "Parsifal". Einer der wenigen Gelegenheiten, wo Deutschlands bessere Kreise einmal untereinander verkehren können.
Er habe sich eine Werkstatt vorgestellt, sagt Schlingensief: "Aber die erwarteten einen Reißbrettplan von mir. Als säße ich zu Hause beim Rotwein und hätte Visionen von dem Bühnenbild, die ich nur in den PC eintippen müsste."
Statt der Werkstatt fand er eine Wagnermaschine, einen Probenplan, wo Szene um Szene abgeprobt wird, im stählernen Takt der Partitur, ohne Zeit für Improvisationen und Neuanfänge. Als er zur ersten Probe erschien, saßen da Leute mit Notebooks und warteten auf Sätze wie: "Sie haben sechs Takte Zeit, um von hier nach dort zu gehen." Doch dieser Regisseur kommt vom Theater. Seine Ideen entstehen während der Proben.
Frühestens. Den ersten Bühnenentwurf warf er noch im April als "zu statisch" über den Haufen. Da hatte Wolfgang Wagner ihn aber schon, wie er selbst sagt, "in Beton gießen lassen" und war abgereist nach Tokio. Waidwund brach der alte Mann die Reise ab und bestellte seinen Regisseur unverzüglich auf den Grünen Hügel. Katharina vermittelte.
Zum Glück einigte man sich auf eine Drehbühne. Zum Glück fand sich ein Sponsor.
Doch langsam setzte sich die Bayreuth-Maschine in Bewegung, die Macht des Grals. Schlingensief schlägt vor, Gazewände zu spannen, auf denen die Gralsritter als Schatten ihrer selbst zu sehen wären. Die Festspielleitung untersagt es ihm mit freundlichen Grüßen, weil dadurch laut einem Gutachten die Höhenchöre behindert würden. So musste ein Test gemacht werden. Dirigent und Chorleiter hatten dann keine Einwände gegen die Leinwände.
Schlingensief wollte drei Planetenkugeln kreisen lassen, auf die man Köpfe aus dem Publikum projizieren könnte. Ausgeschlossen, schon wegen der Persönlichkeitsrechte. "Das geht nicht", sagte Wolfgang Wagner. "Ja, was denken Sie denn?", kam das Echo aus der Reihe, wo Gudrun Wagner saß.
Die Arbeit auf der Probebühne VII wurden in den vergangenen Wochen zunehmend zum Kulturkampf. In Hügel-Kreisen verlautet, Schlingensief habe ein Dia mit einem Afrikaner gezeigt, worauf ein Sänger gegen den "Neger" protestiert haben soll: Das sei doch ein völlig anderer Kulturkreis.
Wolfgang Wagner wiederum will nicht einleuchten, dass sechs Leute im letzten Aufzug anderen die Füße waschen: "Warum sechs? Bei Wagner ist es nur die Kundry", sagt er. Und: "Es gibt ja auch einen Kostenplan." Bayreuth, das ist Deutschland: Mythos und Budgetbeschränkung.
"Die Regie soll wohl sehr einfach sein. Das scheint wohl üblich an der Oper", sagt Schlingensief, "Vielleicht, weil sie die Musik stören könnte. Das könnte die Grundhaltung sein. Die Festspielleitung tritt auf, als wüsste sie, was Richard Wagner heute meinen würde." Aber Richard Wagner sei ein Gesamtorganismus, voll Wunden und Dreck, den jeder mit seinen eigenen Mythen füllen müsse. In seinem Fall mit Hasen, Nahtoderlebnissen, Deutsch-Südwest.
Wolfgang Wagner wurde es langsam unheimlich. Oper ist kein Freaktheater. Oper ist ein hochkomplexes Unterfangen, und Wagner-Oper ist die Genesis. Er machte sich daran, Abmahnungen und Erinnerungen an Geschäftsordnungen hinauszufaxen.
Immer nur: "Dich mahnet dein Vater: Du musst! Du musst!"
Zum Eklat kam es, ist aus dem Festspielhaus zu hören, als Schlingensief die Zeitrafferaufnahme eines verwesenden Hasen präsentierte. Wagner sagte: "Wenn Sie das machen, dann sehen Sie mich erst bei der Premiere wieder." Das war als Drohung gemeint.
Schließlich einigte man sich, dass der Regisseur die Sänger akzeptiert, der Festivalleiter den verwesenden Hasen. "Vielleicht könnten Sie ihn ein wenig künstlerisch verfremden?", meinte Pierre Boulez.
Anfang Juli beauftragte Wolfgang Wagner dann seinen Hausanwalt in Hamburg mit jeder weiteren Kommunikation und Schlingensief den seinen, Peter Raue aus Berlin. Bis spät in die Nacht geisterten die Faxe und E-Mails zwischen Hanse- und Hauptstadt hin und her: "... sollte nicht umgehend ...", hieß es darin, und: "... laut Hausordnung sind Sie verpflichtet ..."
Auch Schlingensief wurde es immer unheimlicher. "Hier herrscht die Angst", sagte er. Überall schienen Leute zu sitzen, die nur auf den großen Konflikt lauerten. Überall Fallen, Spione, Dämonen und über allem die eigene Angst, es nicht zu schaffen.
Schlingensief verschwand für zwei Tage im Klinikum Bayreuth.
Das war die Erlösung. Jetzt sitzt er im vogeldurchzwitscherten Sonnenlicht vor seinem Wohnmobil, von irgendwoher klingt Operngesang, als hätte jemand seine Anlage zu laut aufgedreht. Er habe, sagt Schlingensief, auf der Behandlungsliege plötzlich eine Vision gehabt: den Volks-"Parsifal". Eine Inszenierung für alle. Nicht nur für die Aficionados, die sieben Jahre auf ihre Bayreuth-Karten warten. Ein "Parsifal" ohne Orchester, ohne Pause, aber obsessiv und immer getreu dem Schlingensiefschen Imperativ: "Handele so, wie es dir dein Dämon befiehlt."
"Ich weiß", sagt er. "dass dieser 'Parsifal' hier nicht der Gipfel für mich gewesen sein wird. Es geht weiter." Der Schmerz geht weiter, Richard, und die Suche nach Erlösung.
Auch der greise Enkel scheint nach der ersten Orchesterprobe seinen Frieden mit diesem "Parsifal" gemacht zu haben. Nach den täglichen Disputen, so heißt es auf dem Hügel, seufze er inzwischen nur noch und murmele etwas von der "Freiheit der Kunst" als seinem obersten Gesetz. Denn auch Wagner ist ein Wagner.
Es gibt ohnehin kein Zurück. Am Sonntag ist Premiere. Dann wird Klingsor die Gralsburg auf einer Abschussrampe verlassen, dann werden Afrikaner und drei Behinderte beim Bühnenweihfestspiel mitspielen, eine 70-jährige hagere Frau Zander aus Berlin wird sich vor dem Tenor in den Hüften wiegen, wenn die Blumen im Wonnegarten tanzen.
Und von Hasen wird es wimmeln.
Pressestimmen und Kritiken zur Parsifal Inszenierung 2004
Materialübersicht zu Schlingensiefs Parsifal Inszenierung
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