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Parsifal mit Pute
Schlingensiefs "Fick Collection"
SPIEGEL Online, 16.3.05. Von Jörg Schallenberg.
In seiner neuen Performance "Fick Collection" geht Dauerprovokateur Christoph Schlingensief auf seine Lieblingsfeinde, die Wagners, los - und kocht nebenbei Ungenießbares im Römertopf. Der Abend ist in jeder Hinsicht zu opulent geraten. Ein paar Schnitzel hätten es auch getan.
Eine typische Assoziationskette bei Christoph Schlingensief verläuft so: Er schiebt einen Römertopf in den Backofen, der auf der Bühne steht, schließt die Klappe und sinniert ins Mikrofon: "Einer dieser Industrieöfen." Pause. "Wenn man daran denkt, welche Rolle solche Öfen in der deutschen Geschichte gespielt haben, fällt einem doch sofort die Flick-Ausstellung ein." Als nach ein paar Sekunden Schreckenspause die halbentrüsteten Lacher einsetzen, kommentiert Schlingensief maliziös: "Ah, jetzt haben es die ersten verstanden."
Ausgekochter Culture Clash
Ach, es war doch gar nicht so schwer. Schließlich heißt die neue Performance, mit der Deutschlands aus Funk und Fernsehen bekanntester Hochkultur-Provokateur in dieser Woche auf Tournee unterwegs ist, ganz plakativ "Fickcollection" - und bezieht sich natürlich auf die heftig angefeindete Ausstellung des Sammlers Friedrich Christian Flick, der von den Nazis als "entartet" deklarierte Kunst in Berlin zusammengetragen hat und sich dabei, so die Vorwürfe, auf Kosten der Künstler bereichert haben soll.
Das ist natürlich ein perfektes Thema für Schlingensief: Wo deutsche Geschichte, Politik und Kultur zwischen gehobenem Feuilleton und Leitartikeln mit Fraktur-Überschrift zusammenkrachen, da fühlt sich der 44-Jährige zuhause, darunter greift er erst gar nicht zur Feder. Oder zur Pute.
Denn an diesem Dienstagabend in der Münchner Muffathalle steht Schlingensief zunächst mal mit Jeans, Strickpulli und Baseballmütze am Tisch und bereitet im Scheinwerferlicht eine Pute zu. Fenchel, Zwiebeln, Lauch und Möhren werden um das gerupfte Tier herum in den Römertopf gestopft, dann kräftig Mango-Chutney, Weißwein und Tabasco drübergekippt - solange, bis die Kochbegabten im Publikum endlich entsetzt aufstöhnen. Dazu parliert der betont unfähige Chefkoch des Abends im locker-ranschmeißenden Unterhaltertonfall darüber, dass er heute doch auf "keinen Fall provozieren will".
Da giggeln die Fans in der vollbesetzten Halle schon mal erwartungsvoll - wie überhaupt jenes unangenehme Helge-Schneider-Syndrom oft in den Stuhlreihen zu beobachten ist: Jedes noch so bedeutungslose Wort, jede Geste des großen Meisters reizt bereits zu haltlosem Gelächter. Auf dass keinesfalls der Eindruck entstehe, man verstehe hier irgend eine Anspielung nicht, auch wenn es gar keine sein soll, sondern nur eine Zwiebel vom Tisch gefallen ist.
Wagner, Flick und Spießerschelte
Dann landet die gequälte Pute im Ofen und Schlingensief per assioziativem Holzhammer bei Flick. Von dort ist es kein weiter Weg mehr zum großen Thema des Abends: Wagner. Oder besser: diese Wagners. Im vergangenen Jahr hatte Schlingensief sein Debüt als Regisseur bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth gegeben und sich, wie nicht anders erwartet, sowohl mit dem Ensemble als auch mit den Nachfahren des Komponisten schlagzeilenträchtig verkracht. Nun zitiert er hingebungsvoll aus - selbstverständlich schon aus juristischen Gründen ganz und gar erfundenen - Briefwechseln zwischen ihm, Wolfgang und Gudrun Wagner, dem Bühnenmeister oder einem nicht namentlich benannten Tenor, um deren künstlerische Spießigkeit vorzuführen.
Wollten sie doch gar an den pathetischen Ritualen der Oper festhalten, statt sich seiner revolutionären Inszenierungswut zu beugen; behelligten sie ihn doch mit Kleinkram wie pünktlichem Probenbeginn, der korrekten Nutzung der zugeteilten Parkplätze oder der Verwendung bestimmter Stoffe im Hinblick auf den Klang von Stimmen und Musik.
Besonders Wolfgang und Gudrun Wagner bekommen ihr Fett weg. Die Beherrscher des grünen Hügels tituliert Schlingensief mit einem Zitat von Jürgen Flimm als ein Paar wie "Siegfried und Roy, nur mit dem Unterschied, dass sie keinen Sex mehr haben". Wolfgang Wagners Entsetzen über eine so dicke wie nackte Urmutter, die in Schlingensiefs "Parsifal" über die Bühne hüpfte, kontert der bekennende Nicht-Provokateur nun mit dem Hinweis, dass Wagner sich doch gern eine Videocassette mit dem Auftritt der Urmutter ausgeliehen habe, "als seine Gattin zum Ayurveda-Wochenende in Bad Wörishofen weilte".
Geheime Gier nach Grünen Hügeln
So sehr sich Schlingensief aber bemüht, Tiefschläge zu verteilen, so sehr spricht aus jedem Brief der innigste Wunsch der tief gekränkten Künstlerseele: Lasst mich wieder nach Bayreuth, ich liefere auch jeden Skandal, den ihr wollt! Schon während der Vorstellung in der Muffathalle beschleicht den Beobachter das Gefühl, dass es genau so wieder kommen wird. Wagner wird sich über Schlingensief aufregen, der beleidigt zurückkeilen, und am Ende gibt es den "Parsifal", vielleicht mit Pute und Mango-Chutney.
Aber brauchte es dafür nun die ganze "Fickcollection", diese zweieinhalb Stunden lange Performance, die ebenso wie die Pute viel zu opulent geraten ist? Eher nicht. Da hätte es gereicht, ein paar Schnitzel in die Pfanne zu hauen, zwischendurch die Briefe zu verlesen und den Kunstbetrieb vom Galeristen bis zum Kritiker als oft selbstgefällige Nabelschau aufzuspießen, wie es Schlingensief bis in die kleinste Nuance hinein wunderbar versteht.
Stattdessen muss er, der die Rituale von Theater, Ausstellung, Oper, Fernsehshow als lächerlich verachtet, geradezu zwanghaft den Gesetzen seines eigenes Genres, der, gähn, provokativen Performance gehorchen und alles auffahren, was niemand mehr sehen will, der schon mal vor einer Bühne gesessen hat. In einer Videoeinspielung zertrümmert ein tobender Mob einen Gemüseladen, mittendrin ein straff gescheitelter Tomatenschmeißer in brauner Uniform und mit Hakenkreuz-Armbinde. Ohne Nazis geht natürlich gar nichts.
An anderer Stelle brüllt Schlingensief für eine solche Vorstellung total unverzichtbare Worte wie "Ficken", "Fotze" und "Pipikacka" ins Publikum, am Ende tummeln sich auf der Bühne lauter skurrile Gestalten, die französische Chansons vor sich hin delirieren, ein Kreuz mit angenagelten Huhn hin- und herschleppen oder totes Fleisch sezieren. Schönberg und Wagner dröhnen aus den Lautsprechern.
Schließlich tritt Schlingensief mit wallend roter Perücke, nackten Beinen und knallroten Plateauschuhen auf und zerfetzt die gegarte Pute. Da sind allerdings nicht wenige Besucher längst nach Haus gegangen, der Rest applaudiert brav und müde. Keine Buhs, null Begeisterung. Bayreuth ist spannender.
Weiterführende Artikel zur Fickcollection, A. Hipler
Fickcollection, A. Hipler - Pressespiegel
- "Sperrt ihn weg, bevor etwas passiert!" - von Cornelia Sollfrank, 22.03.05 |
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- "Nicht die Nerven verlieren!" - Kritik aus d. Hamburger Morgenpost, 19.03.05 |
- "42" - Frankfurter Rundschau vom 18.03.05, von Sylvia Staude |
- "Auf Plateausohlen" - Kritik aus der Wormser Zeitung, 18.3.05 |
- "Wenn das Chaos keine Theorie bleibt" - Kritik aus der FAZ vom 17.03.05 |
- "Von Wolfgang Wagner bis Pute" - Pforzheimer Zeitung vom 17.03.05 |
- "Augentropfen für den Märtyrer" - Kölner Stadtanzeiger vom 16.03.05 |
- "Parsifal mit Pute" - Kritik aus SPIEGEL ONLINE vom 16.03.05 |
- "Die Kunst, das sind wir" - Eine Kritik aus der FAZ vom 18.03.2005 |
- "Schlingensief live & intim" - Kritik aus Intro.de vom 15.03.2005 |
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- "Schräger Vogel an Tabascosauce" - Kritik, Stuttgarter Zeitung, 15.03.2005 |
- "Von Wagner bis Pute" - Kritik aus der Wiesbadener Zeitung, 15.03.2005 |
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