 |
 |
|
 |
 |
Fickcollection, A. Hipler: Verwandlungsszenen
In der ausverkauften Münchner Muffathalle hat die "Fickcollection" am Dienstagabend endgültig die Gestalt eines Gottesdienstes ange- nommen. Dabei hielt sich Museumsführer Christoph Schlingensief mit langatmigen Erläuterungen aus 40 deutschen Jahren und Nächten kultureller Enthaltsamkeit in Deutschland zurück und ließ statt dessen seine beredten Diskussionsteilnehmer ausführlich zu Wort kommen. Eine Führung ohne Führer, jeder sein eigenes Kunstwerk.
Tenor Reami Rosignoli gewährte tiefere Einblicke in die religiösen Ambitionen der Oper an sich und der Bayreuther Festspiele im Besonderen, die Schlingensief mit Lesungen aus traumgleichen Wagnerbriefen noch verdeutlichte. Nicht minder eindringlich als in Köln postulierte Jonathan Meese seine These von der ästhetischen Apokalypse in Form eines verspäteten Wiener Aktionismus und wiederholte seine bereits in Köln vorgeführte Aktion "Mutter Parsifal". Anschließend imitierte Meese einen anderthalbstündigen Kreuzgang durch den Ausstellungsraum, der dem Abend eine zuvor ungeahnte Schwermut verlieh. Trotzdem, so Regisseur Hosea Dzingirai, könne Kunst nichts anderes als verknappen und sei, wie ihre Schöpfer, unfähig, Lebensgröße zu erreichen. Zuvor hatte Ehrengast Horst von Hagens, Bruder des berühmten Menschenkünstlers, eine von Schlingensief zu Aktionszwecken separierte Putenkeule an Meeses Kreuz genagelt, wodurch sich (tierisches) Fleisch und menschliches Leid in plastischer Metaphysik vereinten.
 |
"Vater Huhn": Jonathan Meese nagelte ein Hühnchen ans Kreuz (Foto: A.L.) |
"Dem Kunstsystem", predigte ein aufgedrehter Horst von Hagens, "ist es in eigenen Operationen nicht möglich, ein Praxisangebot auszuarbeiten, das Kontext und Kontingenz der Kunst gesellschaftlich zu klären versucht. Gelungene Kunst ist immer nur Kunst, mißlungene Kunst ist aber nicht automatisch das wahre Leben. Tut mir Leid!" Im gleichen Zusammenhang glaubte Elfenforscherin Christjog Eilundsdottir, Verwesungsgeruch wahrzunehmen und diagnostizierte zum allgemeinen Erschrecken: "Meine Damen und Herren, ich fürchte Herr Beuys ist für immer von uns gegangen." Dabei hatte Gastgeber Schlingensief nur den Backofen zu hoch geregelt und der Pute Verbrennungen ersten Grades zugefügt. Ungenießbare Kunst oder ungenießbares Essen?
 |
Horst von Hagen (links), der Bruder von Gunther von Hagen nach dem Präparieren eines Gehirns in der ausverkauften Muffathalle. (Foto: A.L.) |
Kerstin Grassmann ließ sich nur zu einer kurzen Erscheinung überreden, hatten sie die Vorkommnisse der ersten Ausstellungstage doch arg mitgenommen. Auf das Verbrennungsstichwort hin erklomm Grassmann die Bühne und hob, mit dem Rücken zum Publikum, ihren Plüschpullover. Sie offenbarte furchtbare Wunden, die Dignidad-Gründer Schäfer ihr im sexuellen Rausch mit glühenden Zigaretten zugefügt habe. "Solange ich unter seinem Einfluß stand, habe ich da für Kunst gehalten, ich habe mich selbst für Kunst gehalten."
 |
In München ließ Museumsführer Schlingensief seine beredten Diskussions- teilnehmer ausführlich zu Wort kommen. (Foto: Aino Laberenz) |
Horst von Hagens sezierte derweil schon das mitgebrachte Hirn eines kaukasischen Performancekünstlers, der sich während eines Happenings gegen den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche selbst erwürgt hatte. Diskutanten und Publikum verdarb das nicht den Appetit: Pute in Römertopf, von Schlingensief in einer sakralen Wandlungsprozession vom Hackbrett zum Ofen und wieder zurück getragen, fand reißenden Absatz.
Es war keine Kunst, es sich nach Lust und Laune schmecken zu lassen.
 |
"Eine Führung ohne Führer, jeder sein eigenes Kunstwerk." (Foto: A.L.) |
Bildeindrücke der Fickcollection; München, 15.03.2005
Weiterführende Artikel zur Fickcollection, A. Hipler
Fickcollection, A. Hipler - Pressespiegel
- "Sperrt ihn weg, bevor etwas passiert!" - von Cornelia Sollfrank, 22.03.05 |
- "Darunter steckt immer ein kluger Kopf" - Kritik aus der WELT, 19.03.05 |
- "Nicht die Nerven verlieren!" - Kritik aus d. Hamburger Morgenpost, 19.03.05 |
- "42" - Frankfurter Rundschau vom 18.03.05, von Sylvia Staude |
- "Auf Plateausohlen" - Kritik aus der Wormser Zeitung, 18.3.05 |
- "Wenn das Chaos keine Theorie bleibt" - Kritik aus der FAZ vom 17.03.05 |
- "Von Wolfgang Wagner bis Pute" - Pforzheimer Zeitung vom 17.03.05 |
- "Augentropfen für den Märtyrer" - Kölner Stadtanzeiger vom 16.03.05 |
- "Parsifal mit Pute" - Kritik aus SPIEGEL ONLINE vom 16.03.05 |
- "Die Kunst, das sind wir" - Eine Kritik aus der FAZ vom 18.03.2005 |
- "Schlingensief live & intim" - Kritik aus Intro.de vom 15.03.2005 |
- "Kraut, Rüben und Schönberg" - Kritik, Stuttgarter Nachrichten, 15.03.05 |
- "Schräger Vogel an Tabascosauce" - Kritik, Stuttgarter Zeitung, 15.03.2005 |
- "Von Wagner bis Pute" - Kritik aus der Wiesbadener Zeitung, 15.03.2005 |
|
 |
 |
 |
|
 |