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Auf Plateausohlen
Christoph Schlingensief zu Gast in Frankfurt
Wormser Zeitung, 18.3.05. Von Jens Frederiksen.
Taktgeber ist Joseph Beuys. Dessen Dozieren über herrschaftsfreie Kunstausübung, festgehalten in einem rührenden Schwarzweiß-Film aus den 60er oder frühen 70er Jahren, wird als eine Art Prolog während der ersten zehn Aufführungsminuten auf die bühnenhohe Plane projiziert, die knapp hinter dem Proszenium den Blick auf alles Weitere versperrt. Davor sieben Ledersofas, rechts ein Küchenherd - mehr nicht. "Schlingensief intim" heißt die angekündigte Performance, wir befinden uns im Großen Haus des Frankfurter Schauspiels - und sehen zunächst weder (wie wir gehofft hatten) den Theaterberserker Christoph Schlingensief noch (wie wir befürchtet hatten) etwas Intimes.
Nein: Die Spielfläche ist auf schon fade Art Talkshow-tauglich ausgestattet. Allenfalls der Fernsehkoch hätte noch Platz. Und nachdem der erwähnte Dokumentarfilm mit einigen Musiküberblendungen abgespult und auch die lasche Besänftigung eines schlaksigen Dramaturgen im Rolli glücklich überstanden ist, kommen zwei plauderselige Damen mit Sonnenbrillen - eine dicke und eine dünne - an die Rampen geschlendert und schimpfen über die Zumutung, jetzt ein Schaukochen veranstalten zu müssen. Das nämlich ist von der Rahmenhandlung, die die Veranstaltung beim Tourneebeginn vor einer Woche in Schorndorf bei Stuttgart gehabt haben muss, übrig geblieben: das Garen einer Pute im Römertopf. Und während sich die beiden plappernden Damen mit Hackebeilchen und Messern über Karotten und Lauch hermachen, hat unser Dramaturg auf dem Ledersofa in der Mitte jemanden, den er als Bayreuther Korrepetitor vorstellt, unter seine Fittiche genommen und zu Monolog-artigen Ausführungen über das richtige und falsche In-Szene-Setzen von Wagner-Opern veranlasst.
Des Weiteren treten auf: Ein Künstler aus Zimbabwe, der bei einer Berliner Theaterproduktion mit dem Titel "Kunst und Gemüse" mit Schlingensief zusammengearbeitet hat und es nie wieder tun will; eine Feenexpertin aus Island; ein langhaariger junger Mann im Militärmantel, der mit Fistelstimme nach Hagen von Tronje ruft; und eine Liliputanerin im Trachtenkostüm, die sich als Vorsitzende der Touristeninformation von Reykjavik einführt.
Und dazwischen, schlecht gelaunt mit Sonnenbrille und im schwarzen Wollkleid . . . plötzlich Christoph Schlingensief. Der mault, motzt, will nicht mehr den Vorzeige-Linken machen, verweigert den Programmpunkt "Verlesen der Probenaufzeichnungen aus Bayreuth", legt statt dessen ein Bekenntnis zum Kunstsammler Flick und seiner "Collection" ab, erzählt etwas vom Fluss der Dinge und von den diversen Flüssen, in denen er in seinem Leben schon geangelt habe. Verschwindet wieder, lässt in der Zwischenzeit den Burschen im Militärmantel Putenschenkel an ein Holzkreuz nageln, kommt auf Plateau-Schuhen und mit knallroter Flokati-Perücke zurück, greift zu der bereits kräftig gezausten Pute, legt sie aber lustlos wieder beiseite, als ein gebeugter Nuschler mit Namen Horst von Hagens vor das Publikum tritt und seine Mundharmonika zückt. Und so weiter - zwei Stunden lang. Verbeugung dann, schütterer Applaus. Doch als die Akteure danach immer noch nicht aufhören, an der gebackenen Pute herumzuzupfen, nimmt der Exodus des Publikums Flucht-ähnlichen Charakter an - bis auch der Langmütigste resigniert und sich anschließt.
Weiterführende Artikel zur Fickcollection, A. Hipler
Fickcollection, A. Hipler - Pressespiegel
- "Sperrt ihn weg, bevor etwas passiert!" - von Cornelia Sollfrank, 22.03.05 |
- "Darunter steckt immer ein kluger Kopf" - Kritik aus der WELT, 19.03.05 |
- "Nicht die Nerven verlieren!" - Kritik aus d. Hamburger Morgenpost, 19.03.05 |
- "42" - Frankfurter Rundschau vom 18.03.05, von Sylvia Staude |
- "Auf Plateausohlen" - Kritik aus der Wormser Zeitung, 18.3.05 |
- "Wenn das Chaos keine Theorie bleibt" - Kritik aus der FAZ vom 17.03.05 |
- "Von Wolfgang Wagner bis Pute" - Pforzheimer Zeitung vom 17.03.05 |
- "Augentropfen für den Märtyrer" - Kölner Stadtanzeiger vom 16.03.05 |
- "Parsifal mit Pute" - Kritik aus SPIEGEL ONLINE vom 16.03.05 |
- "Die Kunst, das sind wir" - Eine Kritik aus der FAZ vom 18.03.2005 |
- "Schlingensief live & intim" - Kritik aus Intro.de vom 15.03.2005 |
- "Kraut, Rüben und Schönberg" - Kritik, Stuttgarter Nachrichten, 15.03.05 |
- "Schräger Vogel an Tabascosauce" - Kritik, Stuttgarter Zeitung, 15.03.2005 |
- "Von Wagner bis Pute" - Kritik aus der Wiesbadener Zeitung, 15.03.2005 |
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